Kinderbuch-Klassiker und political correctness: ist „Jim Knopf“ rassistisch?

Diese Diskussion beschäftigt mich schon ziemlich, weil es einerseits um die Frage geht, wie ich denn selber geprägt wurde, andererseits aber auch, wie wir mit Kunst, kulturellem Erbe und unserer eigenen Geschichte umgehen. Und damit auch, in was für einer Gesellschaft ich leben möchte.

Ich finde es absolut richtig und wichtig, sich Kritikpunkte an vielgeliebten – vielgelesenen – Klassikern anzuhören, genau anzusehen und darüber zu sprechen, vor allem wenn die Kritik von Menschen kommt, die von rassistischen, sexistischen oder anderen Vorurteilen direkt betroffen sind.

Aber die Frage im Titel ist falsch gestellt. Es gibt kein entweder oder, sondern vermutlich ein sowohl als auch. Alle AutorInnen sind Kinder ihrer Zeit. Das. Ist. Immer. so. Das AutorInnen zum Vorwurf zu machen, ist legitim, kann man machen, aber schnell auch selbstgerecht.

(Und natürlich darf man auch unterscheiden zwischen dem Autor und Interpretationen, z.B. durch die Puppenkiste.)

Was bei dem Vorwurf rassistischer, sexistischer o.ä. Klischees schnell übersehen wird ist, was in Ende, Lindgren und Co an Wertvollem steckt. Was sie eben auch zu Klassikern macht. Und was vielleicht mindestens ebenso prägend sind wie die kritisierten Klischees – aber positiv, stärkend, befreiend, phantasieanregend.

Was passiert da alles in „Jim Knopf“, an das ich mich erinnere: ein schwarzer Titelheld / bester Freund / zukünftiger König, eine interkulturelle Liebesbeziehung, ein Beispiel, dass das äußere Erscheinungsbild trügerisch ist (Herr Turtur) und dass „Andersartige“ unter ihrer Ausgrenzung leiden und doch ihren Wert als Person, ihren Platz und ihre wichtige Aufgabe haben (Nepomuk)…

Die Forderung nach völliger politischer Korrektheit ist gefährlich, weil sie schnell zur Forderung nach zukünftiger Zensur oder nachträglicher „Verbesserung“ wird – was man sich ganz, ganz genau, kritisch und nur mit allem Respekt, den AutorInnen verdienen, ansehen sollte. Achtung: Bücher sind Kultur. Kultur wird Kulturgeschichte. Kulturgeschichte ist unserer Geschichte, die unsere Identität prägt, aus der wir lernen können und müssen.

Nachträgliche Manipulationen beinhalten schnell das Risiko von Geschichtsfälschung. Starre Dogmen das Risiko zukünftiger Zensur. Es muss um’s Verstehen und um den Respekt gehen, nicht um Verbote.

Der Ruf nach völliger politischer Korrektheit ist auch deshalb gefährlich, weil die Vorstellung einer „korrekten“ Kinderliteratur vielleicht auch auf den Wunsch zurückzuführen ist, etwas „Gutes“ konsumieren zu können – ohne die anspruchsvolle Aufgabe, sich eine eigene Meinung zu bilden, kritisch nachzufragen und auch darüber zu reden, was an einem Buch gut oder nicht gut ist. Diese Fähigkeit ist aber ganz entscheidend, und auch, sie an Kinder weiter zu geben.

An alle AutorInnen: schreibt gerne was besseres als Michael Ende oder Astrid Lindgren. Das will ich sehen, fände ich toll.

Deutsche Welle 9.08.2020: „Jim Knopf“: Rassistisches Klischee oder schwarzer Held?

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