The One World – Kapitel 1

Im Jahr 2085 war die kulturelle Konzentration weit vorangeschritten. Die letzten weißen Flecken waren lange von der Karte der globalen Netzabdeckung getilgt. Online-Versandhandel und Logistikdienstleister verbanden die abgelegensten Regionen der Erde. Der anschließende hemmungslose Konsum hatte uns den ökologischen und klimatischen „Point of return“ um Längen verpassen lassen. In der Folge brach die Biodiversität zusammen, Siedlungsräume gerieten unter Druck, Rohstoffe und Nahrung wurden immer knapper. Unsere Antwort darauf lag nahe: Big Data-Dirigismus und Echtzeitplanwirtschaft in einem nie gekannten Ausmaß…

Weltanschauungen, Ideologien und Großkonzerne kämpften im virtuellen und Realraum gleichermaßen verbissen um Kunden, Legitimität und um das Recht auf Wahrheit. Nach Jahrzehnten erbarmungslosen Merchandisings standen sich die letzten zwei politisch-ideologisch-wirtschaftliche Großmächte argwöhnisch gegenüber, der Lukassiten-Orden und „Die Föderation“.

Nur ihre größten und bestorganisierten Konkurrenten blieben erhalten und wurden integriert, wie der Clan der McDonalds oder die ehrwürdige Grand Unified Church of Disney, deren Ikone Donald Duck heute in der Kinderkrippenvereinigung „The Lukes & the Leias“ die Zehn Gebote für kleine Jedikrieger vermittelt. Weniger gut organisierte Weltanschauungen hingegen, wie der Katholizismus, Hinduismus, Anarchismus, Voodoo und Vegetarismus, sind fast rückstandslos verschwunden. Nur ein paar wenige Hobby-Sektierer finden heute noch Spaß dabei, kostümiert durch Keller zu krabbeln oder tief in den Gängen des Abwassersystems die letzten überlieferten Klischees zu inszenieren.

Der Schamanismus der mongolischen Steppen – tot. Die Traumwelt der Aborigine – vergessen. Die Geschichten der Tuareg – verweht. Die Riten der Indigenen am Amazonas – für immer verloren. Alles verstummt, fortgewaschen, aufgelöst in einem weißen Rauschen aus online-Marketing, Informationsmüll, Cybercrime und Stellvertreterkriegen.

Währenddessen schritt auch die Konsolidierung im Inneren voran. Das letzte Opfer der Säuberungen war die Ferengi Association gewesen, deren Mitglieder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion unter dem Vorwurf staatsfeindlichen Libertarianismus verhaftet, und samt und sonders in die Zellen geworfen wurden.

Das also war der Stand der Dinge, als der Held unserer Geschichte geboren wurde. Er erblickte das Neonlicht der Welt in einem kleinen unbedeutenden Flecken nahe der polnischen Stadt Chelm, und sein iData-Implantat wurde ausgestellt auf den Namen Jerzy Lukasz Tymon Przywalka.

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